Timi geht essen: Bräustüberl

Der Leser hält nun, unschwer zu erkennen, die Dezember-Ausgabe in den frierenden Händen. Sau kalt ist es draußen und vielleicht liegt nach Redaktionsschluss sogar ein bisschen Schnee. Durch meinen FINK- Knebel-Vertrag bin ich leider dazu gezwungen, in der Dezember Ausgabe über „beliebte Weihnachtliche Themen“ zu referieren. Am besten geh ich also zum Christmas-Shopping nach New York und esse dort rein zufällig ein unglaublich gutes Steak, welches ich euch wärmstens für die kalte Jahreszeit empfehlen kann. Als Einleitung würde ich dann in etwa folgendes schreiben:
Draussen ist das leise Knistern der Tannenzweige zu hören. Drinnen brennt ein wohlig warmes Feuer im Kamin. Der Duft von honigsüßen Vanille-Kipferln liegt in der Luft. Bereits vier Sorten Plätzchen füllen die alten Blechdosen, die sich langsam bis zur Decke stapeln. Die Kinder spielen, tief in ihre Phantasie eingetaucht, mit ihrer kleinen Eisenbahn, die ihnen der Papa aus dem Keller geholt und liebevoll im Kinderzimmer vor dem großen Fenster aufgebaut hat. Durch das Fenster kann man den alten Mann erkennen, der gegenüber wohnt. Er sieht traurig aus. Keine Weihnachtsbeleuchtung am Dach, kein Spekulatius-Gebäck im Haus. Was ist wohl mit dem alten…

Ach komm, hör mir auf mit dem Schmarn! Von der ganzen Spekulatius-Theatralik krieg ich ganz schön Hunger. Hunger auf was richtiges… Kurzentschlossen lege ich den Laptop zur Seite und fahre mit Sack und Pack zum Weihenstephaner Bräustüberl. Hier war ich schon ewig nicht mehr, also nix wie hin!
An diesem Sonntag Mittag bekomm ich kaum einen Parkplatz – ganz schön was los hier. Durch die Eingangstüre und gleich links in den Stephans-Keller wollen wir uns setzten. Eine Tafel begrüßt uns international: „Welcome to Stephans Keller“ steht da geschrieben. Die englische Sprache in bayerischen Gasthäusern bedeutet für mich nichts anderes als: Achtung, hier werden Touristen abgezockt! Da bin ich ja mal gespannt…

Der Bereich, in dem wir Platz genommen haben ist wirklich wunderschön! Indirekte, gelb-warme Beleuchtung strahlt von unten und hinter den Bänken die Ziegelwände des Gewölbes an. Ein unvergleichlicher, dreidimensionaler Effekt, den ich sofort lieb gewinne. Die Tische sind wunderbar massiv aus Fichte oder vielleicht sogar Eiche, ich bin da leider nicht so der Schreiner. Auf jeden Fall laden die Tische zum „Zamsitzen“ und ein paar Bieren ein. Chapeau, liebe Innenarchitekten. Der Akustiker hingegen bekommt eine Abmahnung: Ein irrer Lärm regiert hier unten die Ohren des Gastes. Durch die gewölbte Decke wird jedes Wort verstärkt und in jede Richtung reflektiert. Für gemütliche Abende empfehle ich einen anderen Raum. Zum Biertrinken mit Spezis ist es allerdings sehr fein. Auf der sympathischen und gar nicht so großen Speisekarte entdecke ich als erstes die Empfehlung des Hauses: „Der Küchenchef empfiehlt…“ Das genügt mir. Ich bestell das Gericht. Der Herr ist ja schließlich Küchenchef. Der wird schon wissen, was gut ist. Karte zu und ne Apfelschorle, bitte. Der Kellner fummelt zwar noch 4 Minuten mit seinem Bestell-Handy rum und flucht ein paar mal, weil das Gerät nicht macht, was er will, aber dann ist die Bestellung auch schon im Kasten, äh Kästchen.
Auf einem kleinen Flyer, der im Salz-und-Pfeffer-Streuer-Halter steckt, werden die Highlights der kommenden Monate im Bräustüberl angekündigt. Unter anderem das beliebte „Feines mit Innereien“. Alles klar, damit wäre die Zielgruppe definiert. Denn auch wenn ich mich hier unter den ca. 120 Gästen so umsehe, ist – ausser ein paar Kindern – kaum jemand unter 50. Da kommen Innereien sicher prima an.
Die Zeit des Wartens nutze ich für einen Gang auf die Toilette. Kurz überlege ich – mit schelmischem Grinsen – ob ich nicht den Lifta-Treppenlift nehmen soll. Ich tu`s dann natürlich nicht, weil ich ein kleiner Feigling bin. Die Toiletten sind großzügig und sauber, ein total „hipper“ Dyson Airblade Händetrockner hängt in lässigem gelb und silber an der Wand. Und er funktioniert wirklich! Der hat nix gemeinsam mit den ineffektiven Geräten aus den 80ern. Der pustet die Hände mit geschätzten 50.000 Watt in ein paar Sekunden komplett trocken. Gute Erfindung. (www.dyson.de) Dennoch: Hier stinkst! Es verbreitet sich hier ein übler Uringeruch, der kaum jemandem Freude bereitet. Das geht besser! An der Wand hängt allerdings eine Art Luftfilter, oder Luft-Deo, das auch zu funktionieren scheint. Ich weiß also leider beim besten Willen nicht, was der Grund für die Geruchsbelästigung sein kann. Schnell Hände waschen und ab nach oben, hier hält man es nicht wirklich lange aus.

Kaum bin ich wieder am Tisch, sitzen wir nicht mehr alleine. Ein älteres Pärchen wurde zu uns gesetzt. Das ist unvermeidlich an den großen 8-Personen-Tischen hier im Stephans- Keller. Mich stört das nicht, könnte mir aber vorstellen, dass es für andere Leute unangenehm sein kann.
Das Essen kommt. Stille. Der Kopf rattert, der Gaumen vibriert, die Zunge tanzt Samba. Der absolute Oberhammer. Die Empfehlung des Chefkochs war das so genannt „Wildreindl“ mit Preiselbeersoße, Blaukraut und Spätzle. Man kann jetzt Wild mögen oder nicht, das Gericht zeugt von höchstem Können und Liebe. Serviert in der universellen gusseisenen Pfanne, bekommt allein das Blaukraut den ersten Platz in der „bestes Blaukraut nördlich von Kapstadt“-Wertung. Luftig, würzig, deftig, süßlich. Und sogar mit einem Klecks Birnenmarmelade garniert – als Dekoration und für den besonderen Frucht-Kick. Die Spätzle sind selbst gemacht, und die Soße auf ein Minimum reduziert: perfekte Konsistenz und schön kräftig, buttriger Geschmack. Das Fleisch ist hier tatsächlich nur noch Beilage und müsste gar nicht mit dabei sein. Dennoch sind der Hase, das Wildschwein und der Hirsch, von ihrer Konsistenz her klar als solche zu erkennen. Der Hirsch ist rosa gebraten, der Mümmelmann löst sich zart vom Knochen. Wow!
Das ist wirklich kein Alte-Leute-Essen. Das ist top modern, jung, universell und wirklich umwerfend! Freisings Jugend: Geht ins Bräustüberl! Da gibt`s noch was Ordentliches und Gesundes auf den Teller! Ausserdem könnt ihr hier auch die Oma mitnehmen… Die sollte dann allerdings auch den Geldbeutel dabei haben. Wirklich billig ist es hier nämlich nicht. Aber Qualität kostet halt. Die Freundin freut sich aber sicherlich auch, wenn ihr sie hierher ausführt!

Meine kleine Liste an Verbesserungsvorschlägen hätte ich aber dennoch gerne abgearbeitet: Nehmt die englischen Schildchen weg, sorgt für eine ordentliche Belüftungs-Anlage auf den Toiletten und gebt euren Kellnern Kugelschreiber und Papier. Dann werde ich euer neuer Stammgast!
Das wars auch schon wieder. Sorry, dass es in dieser Folge nicht ganz so weihnachtlich zugegangen ist. Als Wiedergutmachung für die verpasste Weihnachtsstimmung empfehle ich den Freisinger Christkindl Markt („Freisinger Advent“). Hier gibt es wieder jede Menge Krimskrams, Glühwein, und auf jeden Fall mehr vorweihnachtliche Stimmung als bei mir…

Kling Glöckchen, Timi

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2011.
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