Das Freisinger Residenzschloss
Teil I: Ein allgemeiner Überblick

In Freising gibt es neben der Domkirche kein weiteres Gebäude, das eine solch enorme historische Bedeutung besitzt, wie das Residenzgebäude. Der wuchtige vierflügelige Bau, der an der höchsten Stelle des Dombergs steht und den Domplatz an seiner Westseite abschließt, diente über viele Jahrhunderte hinweg als Regierungssitz der Fürstbischöfe von Freising. Hier liefen alle Fäden zusammen, sowohl die der Bistums- als auch die der Hochstiftsregierung. Das Schloss war Behördensitz, Wohn- und Arbeitsstätte der Fürstbischöfe und Hauptschauplatz der fürstlichen Repräsentation. Heute dient es als Bildungszentrum der Erzdiözese München und Freising, bekannt unter dem Namen „Kardinal-Döpfner-Haus“. Im öffentlichen Bewusstsein ist das Freisinger Residenzschloss heutzutage – anders als in vielen anderen Städten – nur mehr wenig verankert. Die Begriffe „Residenz“ oder „Schloss“ bringt man nicht mit Freising in Verbindung. Dabei stellt es eine der wesentlichen Konstituenten für das historische Verständnis, aber auch für das gegenwärtige kulturelle Selbstverständnis der Stadt dar. Die Residenz versinnbildlicht einen wichtigen Teil Freisinger Identität.
Im Folgenden steht die baugeschichtliche Entwicklung im Vordergrund. In den Teilen 2 und 3 (in den kommenden FINK-Ausgaben) geht es um die Fürstenzimmer bzw. um den Großen Saal der Residenz.

Baugeschichtlicher Überblick

Von einigen wenigen Untersuchungen zu einzelnen Räumen abgesehen hat eine Auseinandersetzung mit dem Freisinger Residenzgebäude bisher nur sehr allgemein stattgefunden; in Anbetracht seiner Bedeutung verwundert dies. So kann auch hier nur ein vager Überblick gegeben werden.

In seinen ältesten Teilen geht das Freisinger Residenzgebäude auf das Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert) zurück. Der überwie- gende Teil der heutigen Bausubstanz stammt jedoch aus der frühen Neuzeit (16.-18. Jahrhundert). Wie die spätmittelalterliche Residenz ausgesehen hat, davon können wir uns nur anhand der aus dieser Zeit erhaltenen Bausubstanz sowie einiger weniger schriftlicher und bildlicher Quellen ein Bild machen. Ähnlich wie heute dürfte es sich um einen annähernd vierflügeligen, jedoch wohl wenig regelmäßigen Gebäudekomplex gehandelt haben. Dieser wurde nach Norden hin von einem Bau abgeschlossen, der sich im Kern bis heute erhalten hat. Die im dortigen Untergeschoss (ehem. Hofkellerei, heute „Korbiniansklause“) befindlichen Gewölbeschlusssteine können ins frühe 14. Jahrhundert datiert werden. Möglicherweise wurden im Bereich des Nordflügels noch ältere Teile integriert; so wirft beispielsweise ein meterdicker Mauerzug (Ostmauer des Nordflügels), der sich in einem Raum unterhalb der Hofkapelle im kleinen Residenzturm befindet und ausschließlich aus Bruchsteinen aufgeführt worden ist, einige Fragen auf (seit dem 12. Jahrhundert wurde das aufwändig zu transportierende und entsprechend teure Bruchsteinmaterial in der Regel durch Ziegelsteine aus lokalen Brennstätten ersetzt; demnach ergäbe sich für den Mauerzug ein sehr hohes Alter). Eine Ansicht des Domberges aus der Zeit um 1550 (vgl. Abb.) gibt das Schloss als sehr heterogenere Anlage wieder: ein pallasartiger Bau, der mit einem steilen Dach und wuchtigen Stufengiebeln versehen ist, daran anschließend ein etwas niedrigeres Gebäude, das am Ostende von einem Turm mit Satteldach abgeschlossen wird. Auf der Nord-, Ost- und Westseite war die spätmittelalterliche Residenz von einer tiefen, mit Ziegeln ausgemauerten Grabenanlage umgeben, Zugang gewährte nur eine an der Ostseite gelegene Brücke (die noch im späten 17. Jahrhundert existierende „Hoff Pruggen“).

Einen ersten bedeutenden Schritt von der mittelalterlichen Wehranlage hin zum frühneuzeitlichen Fürstensitz stellten die weitreichenden Umbaumaßnahmen während der Regierungszeit Fürstbischof Philipps von der Pfalz (reg. 1498-1541) dar. Mit ihm hielt die Kunst der Renaissance Einzug in Freising. Ein erstes quellenmäßig fassbares Projekt stellt die um das Jahr 1514 errichtete neue Dürnitz, der Speiseraum für das Hofgesinde, im ersten Obergeschoss des Nordflügels dar. Dieser Bau ist wohl im Zusammenhang mit der Umgestaltung des gesamten Nordflügels zu sehen. Unter Einbeziehung spätmittelalterlicher Bausubstanz im Bereich des Erdgeschosses schuf man dort offensichtlich den regelmäßigen, dreigeschossigen Gebäudetrakt, der sich im Großen und Ganzen bis heute erhalten hat. 1517 ist vom Neubau einer Kanzlei die Rede. Sehr wahrscheinlich handelte es sich dabei um den heutigen, zum Domplatz hin gelegenen Ostffügel mit der Residenzpforte. Als Architekt hierfür ist der Münchner Oberstadtmaurermeister Wolfgang Rottaler (um 1470-1523) belegt. Im Zusammenhang mit jenen Neubaumaßnahmen erfolgte auch die Errichtung der Arkadenanlage im Residenzhof. Wie eine Marmortafel im Hof angibt, wurde dieser dem Ost- und Nordflügel vorgeblendete, zweigeschossige Bau 1519 vollendet. Die Ausführung geht auf den Landshuter Bildhauer Stephan Rottaler (um 1485-1533) zurück.

Wurde während der Regierungszeit Philipps von der Pfalz also damit begonnen, der Freisinger Residenz eine klare und regelmäßige Gestalt zu geben, so kam dieser Prozess im frühen 17. Jahrhundert durch weitere bedeutende Baumaßnahmen zu einem Ende. Noch während der Regierungszeit Fürstbischof Ernsts von Bayern (reg. 1566-1612), wurde 1608 mit dem Bau eines neuen Südflügels angefangen. Dieser ersetzte wohl mehrere unterschiedlich große Baukörper, wie sie auf der oben erwähnten Ansicht aus der Zeit um 1550 zu sehen sind. Außerdem wurde auch der größte Teil des Westflügels neu aufgeführt. Die Bauleitung lag in den Händen des Hofbaumeisters Hans von Erfurt. Der Innenausbau dieser Neubauten zog sich allerdings über die Regierungszeit Fürstbischof Stephans von Seiboldsdorf (reg. 1612-1618) bis in die ersten Regierungsjahre Veit Adams von Gepeckh (reg. 1618-1651), worauf unter anderem die Jahresangabe „1619“ im stuckierten Gewölbe eines Saales im Erdgeschoss des Südflügels verweist. Die Neugestaltung der beiden mittelalterlichen Residenztürme erfolgte wohl ebenfalls zu Beginn der Regierungszeit Veit Adams von Gepeckh. Statt ihres bisherigen Zeltdaches erhielten beide jeweils einen oktogonalen Aufsatz, der große Turm zudem eine umlaufende Galerie. Im oberen Teil des kleinen Residenzturms wurde zwischen 1617 und 1629 die neue Hofkapelle des Fürstbischofs eingerichtet, nachdem man die über der Domvorhalle gelegene Vorgängerkapelle im Zusammenhang mit der damaligen Erneuerung der Domkirche aufgegeben hatte. Mit diesen Um- und Neubaumaßnahmen in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hatte die Freisinger Residenz schließlich jenes Erscheinungsbild erhalten, das sie im Wesentlichen bis zum Ende der fürstbischöflichen Herrschaft 1802/03 prägte und trotz vieler späterer Veränderungen bis zum heutigen Tag zeigt.

Die letzten größeren Umbauten unter fürstbischöflicher Herrschaft erfolgten während der Regierungsjahre Albrecht Sigismunds von Bayern (reg. 1651-1685). 1668/69 wurde auf seinen Befehl hin im westlichen Teil des Residenzsüdflügels mit dem Bau eines großen Festsaales („Großer Saal“) begonnen, der sich über das erste und zweite Obergeschoss erstreckte. Dieser Saal bildete fortan das repräsentative Kernstück der Residenz und stand ganz offensichtlich in der Tradition deutscher Kaisersaalbauten, worauf unter anderem die dort bis 1803 vorhandenen 15 Kaiserportraits einen Hinweis geben. So fand auch innerhalb der Freisinger Residenz der Reichsgedanke seinen Niederschlag. Im Anschluss an jenen – im 19. Jahrhundert in mehrere Unterrichtsräume umgewandelten – Festsaal ließ Albrecht Sigismund von Bayern im Westflügel eine repräsentative Marmortreppe errichten.

Bis zum Ende der fürstbischöflichen Herrschaft in Freising 1802/03 wurden schließlich kaum mehr Baumaßnahmen größeren Umfangs an der Residenz vorgenommen. In den Regierungsjahren Fürstbischof Johann Franz Eckhers von Kapfing und Liechteneck (reg. 1695/96-1727) hatte man offensichtlich mehrere einzelne Räume umgestaltet, wie zwei erhaltene stuckierte und teils freskierte Decken aus der Zeit zwischen 1710 und 1720 im zweiten Obergeschoss zeigen. Das Hauptaugenmerk fürstbischöflicher Bautätigkeit unter Johann Franz Eckher galt nicht der Residenz, sondern der Domkirche. Eine Neugestaltung größeren Stils erfuhr zwischen 1698 und 1702 der die Residenz und den Dom verbindende Fürstengang. Neben einer Neuausstattung einzelner Fürstenzimmer unter den Fürstbischöfen Johann Theodor von Bayern (reg. 1727-1763) und Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1763- 1768) sowie der Einrichtung eines kleinen Theaters im großen Festsaal unter Fürstbischof Ludwig Joseph von Welden (reg. 1769- 1788) sind im 18. Jahrhundert zudem mehrere Umbauten am großen Residenzturm, dem so genannten „Khueturm“, in dem das fürstbischöfliche Gefängnis untergebracht war, belegt.

Infolge der Mediatisierungs- und Säkularisationsereignisse 1802/03 stand das Freisinger Residenzgebäude großteils leer und wies zunehmend Bauschäden auf. Als man 1826 einen Teil des Gebäudes zum Priesterseminar umfunktioniert hatte, kam es zu mehreren Umbauten, die an vielen Stellen leider auch den Verlust bedeutender historischer Bausubstanz mit sich brachten. So wurde etwa um 1830 der große Residenzturm bis zur Traufhöhe des Dachs abgebrochen. Als durch die steigende Zahl der Seminaristen die Raumnot zunahm, entschloss sich die Leitung des Priesterseminars 1844, auch den barocken Festsaal aufzugeben und an seiner Stelle auf zwei Geschossen mehrere Unterrichtsräume einzurichten. Bereits 1843 wurden erste Umbaumaßnahmen an der ehem. fürstbischöflichen Hofkapelle unternommen, die in den Jahren zwischen 1877 und 1884 zur Einbeziehung des davor liegenden Raums (im 18. Jahrhundert das fürstbischöfliche Billardzimmer) führten. Mit dem Durchbruch in das zweite Obergeschoss und der Anlage einer Galerie 1903 erhielt die Kapelle im Wesentlichen ihr heutiges Erscheinungsbild. Zweimal wurde das Residenzgebäude nach Westen hin und damit in den Bereich der ab 1804 abgebrochenen Stiftskirche St. Andreas erweitert: Über dem alten Hofküchenbau wurde 1884 ein neues Geschoss für den großen Speisesaal aufgeführt. Einen weiteren, großzügig dimensionierten Anbau errichtete man schließlich ab 1902 nach den Plänen von Gabriel von Seidl (1848-1913).

Die letzte umfassende Veränderung erfuhr das Residenzgebäude samt Anbauten in den 1960er Jahren. Ab 1960 errichtete die Erzdiözese anstelle des Seidl-Baus von 1902/03 einen funktionalen, aber überdimensionierten Neubau. Dieser Baumaßnahme fiel die romanische Kapelle St. Martin aus dem 12. Jahrhundert zum Opfer. Als Ersatz wurde im Obergeschoss des Neubaus eine neue Martinskapelle geschaffen, deren Gestaltung sich an den liturgischen Forderungen des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) orientierte. Zur gleichen Zeit wurde auch das Residenzgebäude selbst noch einmal umgebaut, wobei insbesondere innerhalb des Nordflügels durch Entkernungen weitere Teile der historischen Bausubstanz verloren gegangen sind.

Das Residenzschloss im Überblick

Die beiden folgenden Planzeichnungen aus dem Jahr 1803 zeigen die barocke Raumdisposition der Freisinger Residenz. Viele Strukturen sind bis heute erhalten geblieben.

Erdgeschoss
01 Hofkammer (fürstbischöfliche Zen-tralbehörde), 02 Hofrat (fürstbischöfliche Zentralbehörde), 03 Geistlicher Rat (fürstbischöfliche Zentralbehörde), 04 Marmortreppe, 05 Hofküche, 06 Hofzehrgaden (Speisekammer), 07 Hofkellerei, 08 Silberkammer, 09 Hofzuckerbäckerei, 10 Hofzahlamt und Registratur

Erstes Obergeschoss
01 Fürstenzimmer, 02 Großer Saal, 03 Marmortreppe, 04 Burgpflegerwohnung, 05 Dürnitz (Speisesaal der Hofbediensteten)

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2011.
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