Eine Nacht auf einem Isarfloß bei Freising
Der englische Musikschriftsteller Charles Burney und sein kurzer Aufenthalt in Freising (1772)

Charles Burney (1726-1814) war ein englischer Musikschriftsteller und Komponist. Bekannt ist er heute vor allem aufgrund seiner Reisen durch verschiedene europäische Länder, die er zu Beginn der 1770er Jahre aus seinem musik-historischen Interesse heraus unternahm. Ziel dieser Reisen war es, genügend Kenntnisse über die musikalischen Gewohnheiten einzelner europäischer Regionen zu sammeln, um diese dann in einer großen Musikgeschichte zu verarbeiten. Dieses Werk („A General History of Music“) erschien in mehreren Bänden zwischen 1776 und 1789. Burney hatte jedoch die einzelnen Reisen schon zuvor in der literarischen Form eines Reisetagebuchs veröffentlicht. Diese umfangreichen Berichte kamen zunächst in England heraus, mit einiger Verzögerung wurden sie auch ins Deutsche übersetzt und verlegt.

1773 erschien in Hamburg die Übersetzung seines zweiten Reisetagebuchs, das vor allem die Länder des Alten Reichs behandelte: „Carl Burney ́s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. Zweyter Band. Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien“, so der deutsche Titel. In einer kurzen Passage ging er dort auch auf die fürstbischöfliche Residenzstadt Freising ein, jedoch nicht im Hinblick auf die musikalischen Traditionen der Stadt, sondern er erwähnt sie lediglich als Durchgangsstation auf der Reise von München nach Wien. Von München aus über Freising und Landshut ging die Reise per Floß die Isar hinunter, an der Donau stieg er auf ein Schiff, das ihn über Passau und Linz schließlich nach Wien brachte.

Charles Burneys kurzer Freisinger Aufenthalt im August 1772 wurde überschattet von einem offensichtlich lebensbedrohlichen Gewitter, dem er eine Nacht lang in seiner Hütte auf einem Isarfloß ausgesetzt war. Vor dem Hintergrund dieses dominierenden Ereignisses gibt er dennoch zwei kurze Hinweise, die kulturgeschichtlich interessant scheinen: Zum einen erwähnt er mehrmals die schlechte Ernährungslage der Stadt; dabei handelte es sich um kein alltägliches Phänomen, sondern um eine Ausnahmesituation: Burneys Aufenthalt in Freising fällt in die Zeit der schwersten Hungerkrise im Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts, die von 1770 bis 1773 andauerte und auch in Freising selbst viele Opfer forderte. Zum anderen mokiert er sich über den Brauch des „Wetterläutens“, eine zu diesem Zeitpunkt in Städten tatsächlich bereits nur mehr wenig verbreitete und gerade für einen aufgeklärten Zeitgenossen wie Burney archaisch anmutende Maßnahme.

Nur wenige Jahre nach seinem kurzem Aufenthalt, noch in der Regierungszeit Fürstbischof Ludwig Josephs von Welden (reg. 1769-1788) wurde das „Wetterläuten“ auch in Freising untersagt.

„[…] Da ich das Land, durch welches ich zu reisen hatte, gar nicht kannte, und nicht wußte, daß man darin so wenig zu leben vorfinden würde, so hatte mich meine Vorsorge auf nichts weiter gebracht, als eine Matratze, eine wollne Decke und Bettücher, etwas kalte Küche, Brodt und eine Flasche Wein anzuschaffen. Ich fand aber ziemlich bald, daß mir sehr viele andre Sache fehlten; und sollte ich diese Wasserreise in meinem Leben noch einmal thun müssen, wie ich nicht hoffe, so glaube ich, sollte mich die Erfahrung gelehrt haben, aus der Cajüte, auf eine Woche oder zehn Tage, eine ganz erträgliche Wohnung zu machen.
Wenn man von München zu Wasser abgeht, macht die Stadt einen schönen Anblick. Das Land aber, wodurch wir fuhren, schien sehr armselig zu seyn; man erblickte nichts als Wasserweiden, Schilf, Sand und Grand. Das Wasser war an etlichen Stellen so untief, daß ich dachte, das Floß müßte festzusitzen kommen. Um sechs Uhr kamen wir bey Freysingen an; der Pallast des hiesigen Fürst-Bischofs liegt auf einem hohen Hügel, nicht weit von der Stadt, und macht nach der Wasserseite ein sehr hübsches Ansehen. Ich mochte nicht an Land steigen, um für das, was ich schon in meiner Cajüte hatte zu bezahlen, ein schlechtes Abendessen und Nachtlager. Mein Bedienter ging indessen mit den übrigen Passagiers hin, die sich an funfzig belaufen mochten, um frisches Brodt einzukaufen; nur hatte der Ort keins.
Es hatte in dieser Gegend Deutschlands seit sechs Wochen nicht geregnet. Als wir aber bey Freysingen ankamen, ward ich in Westen einer kleinen schwarzen Wolke gewahr, welche in weniger als einer halben Stunde das heftigste Gewitter, mit Donner, Blitz, Regen und Wind hervorbrachte, dessen ich mich jemals erinnre. Ich erwartete wirklich jeden Augenblick, daß der Blitz meine kleine Hütte anzünden würde. Das Gewitter wüthete die ganze Nacht durch so heftig, daß mein Bedienter nicht zurück- kommen konnte, und ich auf dem Wasser blieb, als der einige Bewohner des Flosses, das mit einem Seile an eine hölzerne Brücke gebunden war.

Man hatte zu beyden Seiten meiner Hütte ein vierecktes Loch in die Bretter gemacht, statt der Fenster bey Tage. Eins von den Bretterstücken, die hineinpaßten, war verloren, und sah ich mich also genöthigt, mit Stecknadeln ein Taschentuch vor dem Loche zu befestigen, um Wind und Regen abzuhalten; es half aber nur sehr wenig, und dazu drang der Regen an hundert andern Stellen herein; plitt, platt, plitt! Gings in meiner ganzen kleinen Cajüte; dann ins Gesichte, dann auf die Beine, und immer einerwärts hin. Dieses und das unaufhörliche Blitzen und Krachen des Donners hielten mich beständig wacker; zum Glück für mich vielleicht, denn ich hätte eine arge Verkältung davon tragen können, wenn ich in der Nässe geschlafen hätte. Man hatte mir gesagt, die Bayern wären in der Philosophie und andern nützlichen Wissenschaften, wenigstens drey hundert Jahre weiter zurück, als die übrigen Europäer. Man kanns ihnen nicht ausreden, die Glocken zu läuten, so oft es donnert, oder sie dahin bringen, daß sie an ihren öffentlichen Gebäuden Blitzableiter anbrächten; obgleich die Gewitter hier so gefährlich sind, daß das vergangne Jahr in dem Churfürstenthum Bayern nicht weniger als dreyzehn Kirchen dadurch verheert worden; die Erinnerung hieran war eben nicht sehr geschickt, mich zu beruhigen. Die ganze Nacht durch bimmelten die Freysinger mit ihren Glocken, mich an ihre Furcht zu erinnern, und an die wirkliche Gefahr, worinn ich schwebte. Ich legte meinen Degen, meine Pistolen, Uhrkette, und alles, was als ein Conductor den Blitz auf mich leiten könnte, so weit von mir als möglich auf die Madratze. Ich hatte mich sonst eben niemals vorm Gewitter gefürchtet, aber itzt wünschte ich eins von D. Franklins Betten zu haben, welche an seidnen Schnüren in der Mitte eines grossen Zimmers aufgehängt werden. Ich hielt das Gewitter aus, bis gegen Morgen, ohne einen Wink von Schlafe in die Augen zu bekommen. Mein Bedienter sagte mir, die Herberge auf dem Lande sey erbärmlich gewesen; es hatte in alle Zimmer geregnet, und für alle funfzig Leute hatte man nichts anders zu Essen anzuschaffen vermocht, als schwarz Brodt und Bier, worinn zwey oder drey Eyer geschlagen waren.

Um Sechs kamen wir wieder im Gang. Regen und Wind waren noch immer gleich heftig, und nach der stärksten Hitze ward die Luft so herzlich kalt, daß ichs unmöglich fand, mit allem was ich nur über den Leib warf, mich zu erwärmen. Denn ob ich gleich, ausser meiner gewöhnlichen Kleidung, noch ein Paar dicke Schuh, wollne Strümpfe, einen flanellen Brusttuch, einen Ueberrock anzog, und eine Schlafmütze aufsetzte, und mich einhüllte so gut ich könnte, war ich doch vor Kälte erstarret. […]“

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2012.
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