Fassadenriss zum Stadtbrunnhaus am Wörth
Archivstück des Monats

Wer sich im kleinen Freisinger Stadtteil Wörth auf die Suche nach historischen Gebäuden macht, der wird nicht mehr allzu viele finden. Die wenigen und meist schlecht erhaltenen Häuser aus früheren Jahrhunderten wurden im Zuge der Neubebauung des Wörths in den späten 1980er und 1990er Jahren bis auf wenige Ausnahmen abgebrochen. Ein stadtgeschichtlich ganz besonderes Gebäude hat hier jedoch die Zeiten überdauert: das historische Stadtbrunnhaus, das an beziehungsweise über der Wörthmoosach steht. Als Mittelpunkt eines der vier historischen Wasserversorgungssysteme Freisings versah es etliche (aber bei Weitem nicht alle) Bürgerhäuser mit fließendem Wasser.

Die Wasserversorgungstechnik, wie sie in Europa seit dem Spätmittelalter und besonders während der Frühen Neuzeit in Gebrauch war, basierte auf einer Kombination aus einem wasserradbetriebenen Pumpwerk und einem mehrere Meter in der Höhe befindlichen Wasserspeicher. Das Wasser, das aus einem Tiefbrunnen gepumpt wurde, wurde im Speicher gesammelt; durch das Gefälle des in der Höhe gelegenen Speichers konnte ein ausreichender Druck erzeugt werden, um schließlich ein weitverzweigtes Leitungsnetz mit Wasser zu speisen. Diese Methode lag auch den vier Freisinger Wasserversorgungssystemen zugrunde. Neben dem Versorgungssystem des Stadtbrunnhauses am Wörth, das sich, wie der Name verrät, im Besitz der Stadtkommune befand, gab es noch die beiden fürstbisch.flichen Versorgungssysteme mit den Zentren im Hofbrunnhaus an der Brunnhausgasse beziehungsweise im Seminarbrunnhaus an der Brennergasse sowie dasjenige des Domkapitels im Kapitelbrunnhaus am Sondermüllerweg.

Das Leitungssystem, das vom Wasserspeicher des Stadtbrunnhauses wegführte, erstreckte sich entlang der Hauptstraße, bis zum fast einen Kilometer entfernten Ende der Unteren Stadt. Die Leitungen bestanden zunächst aus Holzdeicheln, wurden aber, um dem Frost zu trotzen, nach und nach durch Bleideicheln ersetzt – sicher nicht zum Besten der Gesundheit der Verbraucher. Zu den Hauptabnehmern gehörten die bürgerlichen Brauereien, die das Wasser zum Bierbrauen benötigten. Für die Wasserabgaben mussten der Stadt jährliche Gebühren bezahlt werden. In den Jahren 1839/40 wurde das Stadtbrunnhaus von Grund auf neu errichtet, da der Vorgängerbau von 1721 baufällig geworden war. Den Auftrag, das Brunnenwerk zu entwerfen, erhielt Sebastian Haindl, Professor für Maschinenkunde und Maschinenzeichnung an der polytechnischen Schule (heutige TUM) in München.

Wer der Architekt des Gebäudes war, ist nicht ganz klar. Möglicherweise stammten die Pläne von einem der Ingenieure der königlichen Bauinspektion München II, die zu jener Zeit für Baugenehmigungen unter anderem auch in der Stadt Freising zuständig war. Im Zusammenhang mit einigen technischen und baulichen Abänderungen wurde im Jahr 1844 ein Riss gezeichnet, der die südliche, straßenseitige Fassade des Stadtbrunnhauses zeigt (vgl. Abb.). Der später errichtete Vorbau fehlt hier noch, so dass die gesamte Höhe des Brunnhauses gut zur Geltung kommt. Die Architektursprache entspricht dem Klassizismus wie er sich in der Münchner Ludwigstraße findet. Den Fassadenriss fertigte Carl Klumpp, Schüler von Friedrich von Gärtner und Bezirksingenieur bei der Bauinspektion MünchenII. Im Vergleich zum heutigen Bauzustand besitzt das Brunnhaus hier noch eine rustizierte Erdgeschosszone sowie rustizierte Ecklisenen im Bereich des ersten und zweiten Obergeschosses. Die zeittypischen Segmentbogenfenster sind durch spätere Umbauten zum überwiegenden Teil vereinfacht worden. Einzig das Dachgesims mit dem umlaufenden Zinnenfries, der an die Architektur oberitalienischer Wehrbauten erinnert, ist noch weitgehend unverändert erhalten. 1888 verlor das Stadtbrunnhaus am Wörth seine Funktion.
Damals wurde in Freising ein modernes, flächendeckendes Wasserversorgungssystem eingerichtet, dessen Zentrum das neue Wasserwerk bei der Veitsmühle war. Das alte Brunnhausgebäude wurde kurz darauf zum Dienstgebäude des städtischen Eichamtes, das für die Kontrolle von Maßen und Gewichten zuständig war, umgebaut. Diese Nutzung bestand bis in die 1930er Jahre, danach veräußerte die Stadt das geschichtsträchtige, heute denkmalgeschützte Gebäude.

QUELLEN: StadtAFS, Altakten I, Abt. X, Nr. 70, 72; ebd., Fotosammlung.

LITERATUR: Grammel, Wolfgang: Das städtische Brunnhaus am Wörth in Freising. Ein Beitrag zur Wasserversorgung der Stadt Freising im 19. Jahrhundert, in: Amperland 37 (2001), S. 483-487; Notter, Florian: Die Brunnhausgasse. Zur Geschichte eines kurzen, aber interessanten Freisinger Straßenzugs, in: Stadtmagazin Fink, 5. Jg., Juli/August 2011, S. 16-17; Notter, Florian: Nahrungsmittelversorgung am fürstbisch.flichen Hof in Freising im 18. Jahrhundert (Magisterarbeit, Universität Regensburg), 2007, S. 19-21.

 

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Mai 2020.
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