Im Abseits: Die Geschichte der Gaststätte „Deutsches Haus“ in Neustift
Zum Jubiläum: 35 Jahre Abseits - 150 Jahre Gaststätte - 250 Jahre Haus und Gewölbe

Am oberen Ende des Neustifter Herrenwegs führt eine schmale Brücke über die Stadtmoosach geradewegs hinein in die kleine Welt des „Abseits“.Dick sind die Mauern des alten schweren Gewölbes, das einen aufnimmt und das sich durch das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes zieht. Rechts der Saal, der von den Bands als Probe- und Veranstaltungsraum sowie auch zu Kleinkunstdarbietungen genutzt wird. Links der Gastraum mit der langen Theke und den davor stehenden Barhockern, sowie einigen Tischen an der Wand. Das gedämpfte Licht, das grob verputzte und dunkel gehaltene Gewölbe, dessen Kreisbogen bis fast auf den Boden reicht, vermitteln Geborgenheit: eine Höhle – ideal zum Rückzug aus der Welt des Alltags. Das östlich daran anschließende Nebenzimmer, einst Vorraum für die längst nicht mehr genutzte alte Kegelbahn, bietet den Blick durch die Fenster auf den lauschigen Biergarten. Unter hohen Bäumen, im leicht verwilderten Garten, sitzt man hier mit Freunden bei anregenden Gesprächen oder alleine, sinnierend und entspannt bei einem guten Schluck Bier. Das beste Bier der Stadt bekommt man hier, so heißt es, aus einer perfekt gepflegten Schankanlage und in sauberen Gläsern. Hier kann man die Welt für kurze Zeit vergessen, völlig frei und entspannt. Eben „abseits“ der übrigen Welt. Welch passender Name für diesen Ort. Generationen von Neustiftern diente das einst sogenannte „Deutsche Haus“ als Zentrum ihres gesellschaftlichen Lebens. Dort traf man sich, aß, trank und tanzte und das nun schon seit 150 Jahren. Freilich änderte sich der Besucherkreis etwas, als die Studenten Peter und Heiner am 1. August 1979 das „Abseits“ eröffneten. Das Publikum wurde jünger, auch mehr Studenten fanden den Weg nach Neustift und bald war das „Abseits“ gesellschaftlicher und kultureller Mittelpunkt der Neustifter Szene. Eine gelungene Mischung aus Studenten, Neustiftern, Zugereisten – eine Kneipe für alle und für jeden. Und das bis heute.

Ende 2015 läuft nun der Vertrag mit den jetzigen Pächtern des Abseits aus. Endet damit auch die Geschichte dieses denkmalwürdigen Hauses? Denn es soll abgerissen werden und einer großen Wohnbebauung Platz machen. Die Planungen dazu laufen bereits. Gerade rechtzeitig zum 35-jährigen Jubiläum des „Abseits“ kam eine Recherche von Heimatforschern und „Freunden des Abseits“. Eine kleine Ausstellung und Broschüre erzählt von der historischen Vergangenheit des Hauses.

Bereits im Jahr 1780 ist das Haus mit der Bezeichnung „B“ als sogenannter „Neubau“ auf einer Federzeichnung als großes Speichergebäude abgebildet. Das aquarellierte Bild befindet sich heute im Besitz des Stadtmuseums Freising. Diese Ansicht des Herrenwegs von 1780 gibt laut dem Freisinger Heimatforscher Karl Mayer den gesamten Besitz des Lederers Georg Rößler wieder, der dieses Aquarell wohl auch anfertigen ließ. Die Ledererfamilie Rößler war seit 1736 Inhaber des Neustifter Ledereranwesens und später auch aller der auf dem Aquarell gezeigten Gebäude. Somit dürfte der „Neubau“ von Johann Georg und Anna Rößler in etwa zwischen 1750 und 1780 errichtet worden sein. Die Bezeichnung „Neubau“ deutet zudem darauf hin, dass an gleicher Stelle oder in näherer Umgebung bereits ein „alter“ Stadel (des dort seit 1701 nachweislichen Lederers Valentin Giot) gestanden hatte, der nun durch einen Nachfolgebau ersetzt wurde. Links neben dem Gebäude (B) ist eine große Wiese mit Gestellen zum Trocknen der Häute dargestellt.

Das stattliche Gebäude besteht im Erdgeschoß aus einem stabilen Tonnengewölbe, das auf der östlichen Giebelseite einst ein großes Tor hatte. Das Tonnengewölbe und die dicken Wände und Pfeiler im Erdgeschoß hatte man damals außerordentlich stabil gebaut, um auch große Lasten im Obergeschoss abfangen zu können. Über dem Tor befand sich im Giebel ein Balken mit einer Winde zum Aufziehen des Lagergutes in die oberen Böden. Die auf dem Aquarell gut erkennbaren breiten flachen Fensteröffnungen im Obergeschoß waren mit beweglichen Brettern zur Regulierung der Luftzufuhr versehen. Das Obergeschoß diente zum Trocken und zur Trockenhaltung der dort eingelagerten Häute (lose oder in Ballen). Eine ähnliche Konstruktion, die als „Lederergaube“ bekannt ist, kann man heute noch auf dem Dach des Rückgebäudes des Birnkammer-Anwesens in der Unteren Hauptstraße in Freising sehen. Die auf dem Aquarell angedeuteten vier runden Bögen an der Moosachfassade, sind heute noch zu erkennen. Im zweiten von links befindet sich der jetzige Eingang ins „Abseits“. Und auch das die Kneipe und „Kulturkatakombe“ prägende Tonnengewölbe ist noch vollständig erhalten. Im Uraufnahmeblatt von Neustift 1810 ist das Lederer-Gebäude in der Form eines Rechteckes eingetragen. Vorhanden war damals bereits auch der schmale Fußweg, der heute noch an der östlichen Giebelseite von der Stadt zur Alten Poststraße verläuft. Im Lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Gebäude zu einer Krämerei umgenutzt, die dann seit 1857 Caspar und Creszenz Floßmann betrieben. In dieser Zeit wurden auch Zimmer in das Obergeschoß eingebaut; das markante Gewölbe im Erdgeschoss veränderte man nicht. Lediglich der Hauseingang wurde auf die Südseite verlegt (die Haustüre stammt noch aus dieser Zeit) und die Fenster entsprechend angepasst.

Beginnend mit dem Umschreibkataster Neustift von 1852 ist in vorhandenen Unterlagen im Staatsarchiv München, und dann nach der Eingemeindung Neustifts 1905 nach Freising, in Unterlagen des Freisinger Stadtarchives, die Entwicklung des Hauses gut dokumentiert: So erwarb Anton Banzer 1864 nach dem Kauf des Anwesens erstmals die Konzession zur Ausübung einer Wirtschaft hinzu. In Neustift, das damals rund 1.500 Einwohner zählte, gab es zu dieser Zeit nur vier Wirtschaften, berichtete Josef Scheuerl in einer Artikelserie im Freisinger Tagblatt 1937/38. Der Franke Banzer oder Panzer – er schrieb seinen Namen mit B oder mit P – kam aus der Nähe von Staffelstein und bewirtschaftete den „Banzerwirt“ 38 Jahre lang. Er schenkte Ungarischen, Franken- und Rheinwein aus. Neben Kaffee und Bier bot er auch Frühstück, Mittag- und Abendessen an. 1902 kaufte Georg Fußeder das Banzersche Wirtsanwesen. Eine Geschäftsanzeige aus dem Freisinger Tagblatt vom 31. Januar 1902 verrät, dass dort Weihenstephaner Exportbier ausgeschenkt wurde. Jeden Sonntag- und Feiertag gab es selbstgefertigte Schweins-, Brat- und Weißwürste. Fußeders Nachfolger als Besitzer und Pächter war Georg Höfer. Dieser erstellte am 19. Juni 1911 eine große Eiskelleranlage zwischen dem alten Wirtshaus und der Alten Poststraße. In einer Bauakte aus dem Freisinger Stadtarchiv ist auf diesen Plänen bereits eine Kegelbahn zu erkennen. Dem nationalen Zeitgeist geschuldet, der vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs wehte, wurde die Wirtschaft nun „Deutsches Haus“ genannt. Um 1920 wurde das Wirtsanwesen schließlich vom Freisinger Hofbrauhaus unter seiner damaligen Besitzerin, der Gräfin von Moy, erworben.

Nach öfterem Pächterwechsel betrieb von 1932 bis 1949 die Familie Westermeier die Wirtschaft über 17 Jahre als Pächter. In der Nachkriegszeit eröffneten 1956 Johann und Veronika Widmann das Wirtshaus wieder mit Kegelbahn und zwei Vereinszimmern. Bekannt ist vielen Freisingern das „Deutsche Haus“ auch durch die „Tanzschule Hoffmann“ in den 1960er und 1970er Jahren, wo unter anderem auch die damals üblichen Tanzkurse der höheren Schulen in Freising abgehalten wurden – nicht zu vergessen die Pizzeria von Georgio Bolognese, einem der Hauptsponsoren des SC Freising.

Anlässlich des 35-jährigen Jubiläums des „Abseits“, der 150-jährigen Geschichte als Gaststätte und der 250-jährigen Geschichte des Hauses mit seinem Tonnengewölbe stellt sich die Frage, ob dieses altehrwürdige, stadtbildprägende Haus zugunsten einer Wohnbebauung für immer Abschied nimmt oder ob man bereit ist, diesen beliebten Treffpunkt für Jung und Alt zu erhalten. Eine Möglichkeit läge in einer denkmalgerechten Sanierung eines der ältesten Wirtshäuser Neustifts, zumindest aber des historischen Kern-Gebäudes, als traditionsreicher „Erlebnis- und Wohlfühlraum“.

Daher unser Appell an den Bauherrn, den Architekten, die Genehmigungsbehörden und den Stadtrat: Dieses alte Wirtshaus ist etwas ganz Einmaliges – nicht nur für Neustift. Das urige Haus mit seinem Gewölbe, direkt an der Moosach gelegen, könnte auch für Freising-Touristen interessant sein und sowohl gastronomisch wie auch als Ladenlokal mit stilvollem Ambiente ein weiterer Magnet für die Stadt Freising werden.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2014.
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