Hauptstraßen-Baustelle 1963
Schätze aus dem Stadtarchiv Freising: Februar 2021

„Die Freisinger Obere Hauptstraße ist zur Zeit eine Sinfonie aus Kies, Sand, Beton, Schächte[n], Bagger[n], Arbeitslärm und einem trockenen Brunnen“. Wer die aktuellen Umbaumaßnahmen vor Augen hat, kann dieser Aussage ohne Weiteres zustimmen. Tatsächlich stammt der Satz aber aus dem Jahr 1963. Er findet sich am Anfang einer Kolumne, die in der Ausgabe des Freisinger Tagblatts vom 19. Juli veröffentlicht wurde.

Der Umbau der Hauptstraße in den Jahren 1963 und 1964 war ein viel diskutiertes Thema in Freising. Anders als bei den Umgestaltungsmaßnahmen Mitte der 1980er und in den 2010er Jahren ging es damals nicht darum, in austarierten und aufeinander abgestimmten Konzeptpaketen unterschiedliche Belange in Einklang zu bringen (wie z.B. Stärkung des Innenstadt-Gewerbes, Aufenthaltsqualität, Barrierefreiheit, Baukultur, Denkmalpflege). Es ging Mitte der 1960er vielmehr darum, die Innenstadt im Sinne des motorisierten Individualverkehrs „verkehrstauglich“ zu machen. Ganz nach dem Konzept der „autogerechten Stadt“ wurde dem PKW der Vorrang vor anderen Verkehrsteilnehmern eingeräumt.

Das Ergebnis des Hauptstraßen-Umbaus von 1963/64 waren eine breite, asphaltierte Durchgangsstraße, schmale, an die Ränder gedrängte Gehsteige für die Fußgänger und die fast vollständige Preisgabe des öffentlichen Stadtraums zugunsten von PKW-Stellplätzen. Um die Verkehrssicherheit für Fußgänger zu gewährleisten, mussten Einrichtungen geschaffen werden, die man bis dahin in der Innenstadt nicht kannte: Fußgängerüberwege, Fußgängerampeln, Sperrgeländer und – im Bereich des Kriegerdenkmals – sogar eine Verkehrsinsel.

Durch die stetige Zunahme des motorisierten Individualverkehrs und die Überforderung historisch gewachsener Stadträume kam das Konzept der „autogerechten Stadt“ im Lauf der 1970er Jahre vielerorts stark in die Kritik. Vielfach wurden Alternativkonzepte entwickelt, die auf Maßnahmen setzten wie Umfahrungsstraßen, Parkhäuser an den Innenstadträndern, verkehrsberuhigte Zonen oder Fußgängerzonen. Auch in Freising revidierte man den Umbau von 1963/64 bereits nach zwei Jahrzehnten wieder (Hauptstraßenumbau und Verkehrsberuhigung 1983 bis 1986).

Einen Eindruck vom Umbau der Oberen Hauptstraße im Sommer 1963 vermittelt uns eine Farbfotografie, die aus dem Fotonachlass des Freisinger Cafetiers Hermann Hauptmann stammt (vgl. Abb.); die Familie überließ den Nachlass 2018 freundlicherweise dem Stadtarchiv. Die Aufnahme zeigt einen kleinen Ausschnitt der Baustelle, ungefähr den Bereich zwischen Kriegerdenkmal, dem Schiedereck und der Bahnhofstraße. Blickrichtung des Fotografen ist Osten. Besonderes Interesse scheint die während der Baustellenphase geöffnete Stadtmoosach auf sich zu ziehen, jedenfalls richten sich die Blicke der umstehenden Personen auf das Wasser. Während der Stadtbach bei den Umbaumaßnahmen 1963 und 1986 wieder geschlossen wurde, bleibt er nach dem Umbau von 2020/21 offen – zumindest streckenweise.

QUELLEN: Stadtarchiv Freising, B II, Stadtratsprotokoll 1963, S. 3-5; ebd. Protokoll des Verwaltungsausschusses 1963, S. 17, 36, 74; ebd., NLSp Hermann Hauptmann; ebd., Zeitungssammlung, Freisinger Tagblatt, 19.07.1963, 02.08.1963, 09.08.1963.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Februar 2021.
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